Der total nachvollziehbare und vertretbare Grund, warum wir alle Bull**it produzieren – und warum wir es trotzdem nicht sollten
In den letzten Wochen habe ich mich (wieder) sehr viel mit Bullshit beschäftigt.
[alleine dieser Anfang bringt mich zum Schmunzeln]
Und ich bin überzeugt, dass wir alle das tun sollten! Warum?
Weil niemand – wirklich niemand, auch du nicht – frei von Bullshitting ist.
(Selbst, wenn wir das lieber unseren „Feinden“ in die Schuhe schieben würden)
Und weil Bullshit gefährlich ist.
Er nagt an den Grundfesten unserer Demokratie.
Er unterwandert Vertrauen in unserem Zusammenleben.
Er hinterlässt uns kraftlos und ohnmächtig, verschleiert und betäubt.
Bullshit ist gefährlicher als Lügen.
Und die Welt ist voll davon.
Was wie eine Beleidigung oder Herabwürdigung klingt…
…ist AUCH ein Fachbegriff.
Und das sogar in zwei Disziplinen: Der Philosophie und der Gestalt-Psychologie.
Bullshit ist
Die Überschneidungen und Ähnlichkeiten liegen aus meiner Sicht auf der Hand.
Bullshit ist unverbundene Sprache.
Ohne Wert auf das zu legen, was gerade wirklich los ist.
Die Nähe zur Manipulation ist nicht zufällig.
Das, worauf Bullshitting abzielt: Den Anschein von Wahrheit zu wahren.
Logik, Wissen und Eloquenz werden instrumentalisiert…
…um einer anderen Absicht zu dienen als der, die der Bullshitter allem Anschein nach verfolgt.
Oft geschieht das – und das ist sehr wichtig! – ohne die Absicht zu lügen.
Der Bullshitter ignoriert die Wahrheit
(im Gegensatz zum Lügner, der sie ja kennt)
Es mangelt ihm einfach an (1) Interesse, (2) Wissen und/oder (3) Präsenz – an Geistesgegenwärtigkeit.
Politik
Verkauf
Marketing
Beziehungen
Klimadebatten
Gleichberechtigung
Corona-Diskussionen
All diese Felder und noch mehr sind und waren die Brutstätten von Bullshit.
Dabei ist es unerheblich auf welcher politischen Seite du stehst, welchem Geschlecht du angehörst oder wie alt du bist. Bullshit ist überall. [da ist es wieder, mein Schmunzeln]
Das macht auch die Nähe zu Greenwashing, Virtue Signaling und Wokeness – aber auch zu Verschwörungstheorien, Hetze und Cancel Culture deutlich.
Inhalte werden mehr zur Selbstinszenierung oder Manipulation genutzt, als um echte Einsichten oder Werte zu teilen.
Aus diesem Grund ist Bullshit auch weitaus gefährlicher als Lügen, weil er oft schlüssig klingt, aber keinen direkten Bezug zur Realität hat.
Der Bullshitter will „gut“ sein.
Oder einflussreich. Mächtig.
Oder einfach weise, attraktiv, empathisch, nachhaltig, etc. [setz dein Bemühen ein]
Und er will Recht haben.
Doch das gibt er in seiner Kommunikation nicht preis…
…sondern spricht über etwas ganz anderes.
Die versteckte Agenda wird nicht offengelegt.
Die eigentliche Absicht bleibt verborgen.
Vielen ist es aber tragischerweise gar nicht bewusst, wenn sie bullshitten.
Wir alle glauben, dass wir richtig gut im Erkennen von Bullshit sind.
Dabei fällt es den meisten nicht einmal bei sich selbst auf.
Und dementsprechend auch nicht bei anderen.
Fast jeder ist anfällig dafür!
Gehörst du dazu?
Vermutlich ja. Denn die meisten von uns haben übermäßig selbstsichere und gleichzeitig leistungsschwache Bullshit-Detektoren.
Aber um das wirklich zu beantworten, brauchen wir ein paar mehr Anhaltspunkte.
Woran sich Bullshit erkennen & entlarven lässt
Die meisten Menschen versuchen, Bullshit mit Logik auf die Schliche zu kommen.
- Welche Argumente sind korrekt?
- Welche Quellen & Belege werden angeführt?
- Welche Floskeln werden mit welchem Zweck verwendet?
- Welche Agenda haben die Menschen, die gerade am Wort sind?
- Welche Agenda haben die Menschen, auf die sich diese Menschen beziehen?
Meinungen sind keine Fakten.
Erklärungen auch nicht notwendigerweise.
All dem stimme ich zu.
Gleichzeitig kann ich nicht in jeder Situation einen Faktencheck laufen lassen. Das wäre umständlich, etwas elitär und vermessen zu verlangen.
Was also tun?
Wir können uns auf ein Mittel berufen, das wir alle mehr oder weniger beherrschen: Kommunikation.
Zuhören
Konfrontieren
Fragen stellen
Emotionen zeigen
Absichten hinterfragen
Aber um das nur annähernd effektiv machen zu können, brauchen wir vor allem unsere eigene Selbstwahrnehmung.
Ich muss selbst wissen, wenn ich beginne zu bullshitten, wie sich das anhört und was ich in diesen Momenten fühle.
Wie sich Bullshit anfühlt
In meiner eigenen Erfahrung entsteht mein Impuls für Bullshitting immer dann, wenn ich das Gefühl habe, etwas sagen zu müssen – obwohl ich eigentlich nichts zu sagen habe.
- Ich sollte jetzt eine Meinung dazu haben.
- Ich sollte eine Antwort darauf haben.
- Ich sollte Stellung beziehen.
etc.
Oder, wenn ich den Eindruck habe, dass das, was ich gerade eigentlich will, irgendwie falsch, unpassend, peinlich oder anders unangebracht ist.
- Ich sollte nicht um Aufmerksamkeit fragen, wenn ich nichts ‚geleistet‘ habe.
- Als (Workshop-)Leiter sollte ich über den Dingen stehen und nicht emotional reagieren.
- Auch, wenn sich alles in mir sträubt, sollte ich diesen Auftrag annehmen – es bringt ja auch Geld.
Am Ende des Tages also: Interner Moralismus mit dem ich mir Druck mache.
Dabei sind die Regeln, mit denen wir uns in diese Situation bringen, von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Jedem Tierchen sein Pläsierchen.
Haben tun wir sie aber alle.
Auch du.
(ich schreibe das so oft, weil in meiner Vorstellung die größte Gefahr ist, dass du einen solchen Artikel liest und dir nur Gedanken machst über die anderen, die bösen, die, die das nicht verstanden haben ohne vor der eigenen Haustüre zu kehren)
Natürlich: Ein bisschen generelle Dynamik, die für uns alle wirkt, gilt es schon auch zu beachten.
Wie und wann Bullshit entsteht
Sogar unter denen, die sich mit dem Phänomen beschäftigen, glauben viele, dass Bullshit hauptsächlich dann entsteht, wenn jemand etwas verkaufen will.
Das ist richtig.
Und zu kurz gegriffen.
Wir Menschen sind absichtsvolle soziale Tiere.
Wir orientieren uns oft an anderen.
Wenn wir in einen Raum kommen, checken wir innerhalb der ersten Momente, was hier OK und was nicht OK ist. Was erwartet und was nicht erwartet wird.
Das ist gut. Und normal.
Wenn dieser Wunsch, dazuzugehören aber zu stark auf Kosten unseres authentischen Selbstausdrucks geht, kann das problematisch werden.
Die Abhängigkeit von externen Bezugssystemen für soziale Orientierung führt nämlich meistens dazu, dass wir uns der Manipulation bedienen, um das zu bekommen, was wir wollen.
Unser Wunsch dazuzugehören verzerrt unser Denken und unsere Fähigkeit, selbst authentisch aufzutauchen.
Insbesondere gilt: Wenn wir in früheren Phasen unseres Lebens vor der Wahl zwischen Bindung und Authentizität standen – und das standen wir alle -, dann MUSSTEN wir uns für die Bindung zu unseren Eltern entscheiden, um zu überleben. Daraus resultieren auch unsere vielfältigen Anpassungsstrategien.
Wenn im Hier & Jetzt also etwas unsere Zugehörigkeit bedroht, wie wir es vielleicht auch nur annähernd von früher kennen…
…dann reagieren wir so, wie wir immer reagiert haben – nämlich tatsächlich so, wie wir damals reagieren mussten.
Manchmal fällt es uns schwer zu erkennen, dass diese Gefahr nicht mehr ganz so bedrohlich ist, wie damals.
Manchmal erkennen wir nicht, dass wir mittlerweile mehr Ressourcen haben, um damit umzugehen.
Wir blenden aus, dass diese Angst für uns als Erwachsene eigentlich viel mehr ein Risiko darstellt – und oft gar nicht so groß ist, wie wir denken.
Selbst eine kognitive, logische Einsicht oder Erkenntnis davon ist unserem körperlichen Erleben als Menschentier oft relativ egal.
Wenn der Körper aktiviert ist, reagieren Menschen oft sehr direkt.
ODER ABER: Sie bleiben in der Situation, unterdrücken ihre Reaktion und…
…beginnen zu Bullshitten.
Wenn der innere Prozess vom äußeren abweicht – wenn wir also inkongruent werden – und wir versuchen, das zu überspielen, dann kommt einfach oft nur mehr heiße Luft heraus.
„If you can’t convince them, confuse them“ hat der ehemalige US Präsident Harry Truman gesagt. (und ist auch mein Lieblingszitat aus dem verstörend-unterhaltsamen Film „Thank you For Smoking“)
Das können wir.
Alle von uns.
Ein soziales, absichtsvolles Tier kann seinen inneren, tierischen Anteil leugnen und äußerlich höchst beeindruckend, ablenkend oder „sachlich“ weiter palavern.
Wie ein Vogelpfau breiten wir unsere metaphorischen Federn aus, um imposanter, größer, vielleicht auch bedrohlicher, aber zumindest unter Kontrolle zu scheinen.
Wie Stinktiere verpesten wir die kommunikative Luft um uns herum, damit wir nicht dorthin schauen müssen, wo es gerade eigentlich weh tut.
Wie Zwerg-Seepfärdchen verschwindet manche authentische Meinung hinter den sozial gerade tragbaren Meinungs-Korallen.
OK. Genug der humpelnden Tiervergleiche.
Den Bullshit-Detektor schärfen
Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, unsere Bullshit-Detektoren zu schärfen, um
1. selbst weniger Bullshit zu verbreiten
2. weniger oft auf Bullshit reinzufallen
3. anderen zu helfen, Bullshit zu erkennen und
4. damit alles zu stärken (oder zumindest zu bewahren), was uns wichtig ist:
Die Demokratie
Unsere Beziehungen
Die Innovationsfähigkeit & Relevanz unseres Unternehmens
Unsere eigene Resilienz und Gesundheit
Der Planet
Und vor allem: Eine würdevolle Begegnung zwischen uns Menschen.
Die psychologische und philosophische Diskussion um Bullshit hat also einen gemeinsamen Kern: Die Bedeutung von Authentizität, Ehrlichkeit und Verantwortung in unserer Kommunikation.
Sobald mir etwas über mich selbst oder mein Umfeld bewusst ist…
…habe ich eine Verantwortung.
Ob ich will oder nicht.
Ich kann etwas sagen. Ich kann eine Pause einlegen. Ich kann schweigen.
Aber das zu ignorieren führt zu Bullshit in Entscheidungen und Handlungen.
In einer Welt voller Bullshit braucht es größeres Selbst-Bewusstsein und wieder mehr echte Verbindungen, um das Signal vom Lärm zu unterscheiden und wirklich etwas zu bewirken.
So paradox es klingt: Indem wir unseren eigenen Bullshit erkennen und benennen, können wir uns auch von dem anderer entziehen.
Indem wir bewusst wählen, was wir sagen und wie wir es sagen, können wir eine Kultur der Authentizität und Ehrlichkeit fördern.
Es ist an der Zeit, dass wir übermäßigem Bullshit Einhalt gebieten – unserem eigenen und dem der Menschen um uns herum – und die Kraft authentischer, selbst-bewusster Kommunikation wieder entdecken.
Bereit zum Upgrade?
Wenn du ein paar dieser Muster genauer beleuchten, erforschen und an der Wurzel verändern willst, wenn du deinen eigenen Bullshit vermeiden und den anderer besser erkennen lernen willst, dann schreib mir einfach direkt hier oder sei dabei bei einem meiner nächsten Workshops.
Hier findest du mehr Infos dazu:
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